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 Christoph Zuschlag

PAUL KLEE UND DIE »ENTARTETE KUNST«


SUMMARY

PAUL KLEE AND »DEGENERATE ART«

This essay is devoted to the Nazis' stigmatization of Paul Klee as a »degenerate« artist. Klee, who was dismissed from his professorship at Kunstakademie Düsseldorf a few weeks after they took power, was represented in several of the »chambers of horror« in 1933/34, which pilloried modern art. Klee's works were also presented in the travelling Degenerate Art Exhibition (1937 to 1941). The article's second focal theme is an investigation into the seizure of Degenerate Art from German museums (including 134 of Klee's works) and its »exploitation« by the Nazis, which is illustrated using sample provenances. It is clear that all aspects of Nazi art policy and its consequences can be demonstrated using the example of Paul Klee. The essay relates to the book currently in preparation, »Paul Klee and ›Degenerate Art‹ — the controversy surrounding modern art in Germany during the twenties and thirties«, which the author plans to publish, together with Stefan Frey.


Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Vortrag, der am 3. März 2011 in der Nationalgalerie Berlin gehalten wurde. Für die Publikation wurden Anmerkungen und eine Literaturliste ergänzt. Die Ausführungen stehen im Zusammenhang mit dem gemeinsam mit Stefan Frey konzipierten Buchprojekt »Paul Klee und die ›Entartete Kunst‹ — Zur Kontroverse um die Moderne in Deutschland in den zwanziger und dreißiger Jahren«. Dieses Buch wird eine Lücke schließen. Denn trotz zahlreicher Publikationen über Klee wurde das Thema »Paul Klee und die ›Entartete Kunst‹« bislang noch nicht umfassend untersucht — was erstaunt, gehört der Künstler doch zu den Hauptrepräsentanten der Moderne und war zudem von der NS-Femekampagne stark betroffen. Erstaunlich auch, dass es im neunbändigen Catalogue raisonné Paul Klees, der 2004 abgeschlossen wurde, keinen eigenen Text zu diesem Thema gibt. Der Untertitel »Zur Kontroverse um die Moderne in Deutschland in den zwanziger und dreißiger Jahren« deutet an, dass das Thema in einen größeren Kontext gestellt werden wird. So wird nicht nur die NS-Propaganda gegen Klee, sondern auch deren Vorgeschichte in ihren unterschiedlichen Facetten dargestellt. Zugleich wird der zeitliche, geografische und thematische Bogen weit gespannt: Einzelne Aufsätze widmen sich zum Beispiel der Rezeption Klees von 1910 bis 1933, dem Ankauf von Klee-Werken durch Museen und private Sammler in der Weimarer Republik sowie der Beschlagnahme von Klee-Werken in den besetzten Gebieten. Im Rahmen der sog. »Verwertung ›entarteter Kunst‹« werden die USA als wichtigstes Absatzgebiet behandelt. Die Rückforderungen ehemals beschlagnahmter Werke aus juristischer Sicht sind ein weiteres Thema. Außerdem werden in einem Anhang die Provenienz und die Ausstellungsgeschichte sowohl der Werke des Künstlers in öffentlichen Sammlungen Deutschlands vor 1937 als auch der von den Beschlagnahmungen betroffenen 134 Arbeiten ausführlich dokumentiert. Grundlage hierfür sind zum einen der bereits erwähnte Catalogue raisonné Paul Klees, zum anderen die Provenienzrecherchen an der Forschungsstelle »Entartete Kunst« in Berlin im Zusammenhang mit der Publikation des NS-Beschlagnahmeinventars im Internet sowie die persönlichen Recherchen von Stefan Frey zur Geschichte dieser Werke. Stefan Frey (Hinterkappelen) sowie Marie-Elisabeth Fischer und Andreas Hüneke (Forschungsstelle »Entartete Kunst« am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin) sei für zahlreiche Hinweise gedankt.

Paul Klee im Nationalsozialismus

Paul Klee wird 1879 in Münchenbuchsee bei Bern geboren. Er erhält die deutsche Staatsbürgerschaft, weil sein Vater Deutscher ist (die Mutter ist Schweizerin). 1898 übersiedelt Klee zum Studium nach München. 1906 heiratet er die Münchner Pianistin Lily Stumpf, 1907 wird Sohn Felix geboren. 1912 nimmt Klee auf Einladung Franz Marcs und Wassily Kandinskys an der zweiten Ausstellung des Blauen Reiters teil. 1920 wird er von Walter Gropius an das Staatliche Bauhaus in Weimar berufen, 1926 erfolgt der Umzug nach Dessau. 1931 tritt Klee eine Professur an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf an. 1933, unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar, intensiviert die NS-Presse die Diffamierung Klees. In der westfälischen Gauzeitung »Rote Erde« und in leicht gekürzter Form in der »Volksparole« erscheint am 1. April 1933 unter der Überschrift »Kunst-Sumpf in Westdeutschland« ein ganzseitiger Angriff auf die Staatliche Kunstakademie in Düsseldorf. Der Autor beschimpft die Schule als Hochburg jüdischer Künstler, die ganz unter dem Einfluss des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim stehe. Zitat: »Dann hält der große Klee seinen Einzug, berühmt schon als Lehrer des Bauhauses Dessau. Er erzählt jedem, er habe arabisches Vollblut in sich, ist aber typischer, galizischer Jude. Er malt immer toller, er blufft und verblüfft, seine Schüler reißen Augen und Maul auf, eine neue, noch unerhörte Kunst zieht in das Rheinland ein.« Am 17. März dringen SA-Männer in Abwesenheit des Ehepaares Klee gewaltsam in dessen Haus in Dessau ein, durchsuchen es und beschlagnahmen Akten. Aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933, das die juristische Grundlage für die fristlose Entlassung unliebsamer Hochschulprofessoren und Museumsbeamter bietet, wird Klee am 21. April 1933 als einer der ersten lehrenden Künstler »mit sofortiger Wirkung« von seinem Düsseldorfer Lehramt beurlaubt und zum 1. Januar 1934 entlassen. Klee reagierte auf diese Vorgänge mit dem Bild von der Liste gestrichen (Abb. 1). Noch im selben Jahr — an Weihnachten 1933 — emigrieren Paul und Lily Klee in die Schweiz, wo der Künstler im Jahre 1939, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, einen Antrag auf Einbürgerung stellt. Schwer krank stirbt Paul Klee am 29. Juni 1940 im Alter von 60 Jahren während eines Kuraufenthaltes in Locarno-Muralto, jedoch noch als Deutscher. Eine Woche später wäre ihm mit großer Wahrscheinlichkeit die Schweizer Staatsbürgerschaft zugesprochen worden.

Werke Paul Klees in NS-Propagandaausstellungen 1933/34 in Dessau, Mannheim, Chemnitz, Dresden u. Breslau

Wie erwähnt, verlor Klee sein Düsseldorfer Lehramt aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933. Doch nicht nur zahlreiche Künstler-Professoren wurden auf der Grundlage dieses Gesetzes »beurlaubt« — außer Klee zum Beispiel Willi Baumeister und Max Beckmann (Frankfurt), Otto Dix (Dresden) sowie Karl Hofer und Käthe Kollwitz (Berlin) —, sondern auch rund 30 Museumsdirektoren und zwar vorwiegend solche, die sich in den Jahren der Weimarer Republik für die Moderne eingesetzt hatten: etwa Ernst Gosebruch (Essen, Museum Folkwang), Ludwig Justi (Berlin, Nationalgalerie), Max Sauerlandt (Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe) und Gustav Friedrich Hartlaub (Mannheim, Städtische Kunsthalle). An die Stelle der entlassenen Beamten in Museen und Hochschulen traten Funktionäre und Gesinnungsgenossen der NSDAP, von denen einige in enger Verbindung zum völkisch-reaktionären »Kampfbund für Deutsche Kultur« standen.

In vielen Städten begannen die neuen Museumsleiter ihre Tätigkeit mit der Einrichtung sogenannter »Schreckenskammern der Kunst« (auch »Schandausstellungen« genannt). (Abb. 2) zeigt eine Karte, auf der die betreffenden Orte eingezeichnet sind (rot markiert sind die Städte, in denen Werke Klees einbezogen wurden: Dessau, Mannheim, München, Erlangen, Chemnitz, Dresden und Breslau). Bei den »Schreckenskammern« handelte es sich um Sonderausstellungen, in denen der jeweils am Ort vorhandene Bestand an moderner Kunst gleich welcher Stilrichtung in diffamatorischer Weise zur Schau gestellt wurde. Die Ausstellungen verfolgten ein rein politisches Ziel: Die Kunstwerke wurden dem Publikum als Degenerationserscheinungen der Weimarer Republik vorgeführt, um diese zu diskreditieren und letztlich den Sieg Hitlers als »revolutionären Neubeginn« zu feiern. Die Empörung des Publikums über die moderne Kunst war also nicht das eigentliche Ziel, sondern nur ein Mittel unter anderen, um breite Zustimmung zum NS-Staat zu bewirken und somit in dessen Frühphase zur innenpolitischen Stabilisierung beizutragen. Trotz dieser gemeinsamen ideologischen Basis und Zielsetzung entstanden die »Schreckenskammern« als lokale Einzelaktionen unabhängig voneinander. Darin liegt ein signifikanter Unterschied zu der staatlich angeordneten und zentral vorbereiteten Wanderausstellung »Entartete Kunst«, die 1937 in München eröffnet wurde.

Mit den zahlreichen Entlassungen in Kunsthochschulen und Museen sowie der Einrichtung der »Schreckenskammern« begannen die Nazis schon kurz nach der Machtübernahme ihren Kampf gegen die moderne Kunst und ihre Vertreter. Jedoch kamen diese Vorgänge nicht unangekündigt. Vielmehr wurde hier vollzogen, was die massiven Attacken völkisch-radikaler Gruppen und traditioneller Künstler gegen die Avantgarde und die progressive Ankaufspolitik der Museumsleiter seit Jahren ideologisch vorbereitet hatten. Und es waren häufig Werke Klees, die solche Attacken auf sich zogen.

Stefan Frey und Andreas Hüneke haben im Katalog »Paul Klee 1933« darauf hingewiesen, dass die erste »Schandausstellung« bereits Mitte März 1933 in Dessau stattfand. Dort wurden »Ankäufe moderner Kunst, die Oberbürgermeister Fritz Hesse [...] zwischen 1928 bis 1932 für die Stadt getätigt und der Anhaltischen Gemäldegalerie als Dauerleihgaben überlassen hat, in zwei Schaufenstern des örtlichen NSDAP-Organs ›Der Mitteldeutsche. Anhaltische Tageszeitung‹ angeprangert. [...] Wahrscheinlich ist darin zumindest eines der beiden Klee-Werke, das Gemälde Märchen [...] [Abb. 3] oder das Aquarell die Pauken-Orgel [...] [Abb. 4] diffamiert worden«.1 Quelle für diese frühe Datierung der Ausstellung ist ein Brief von Julia Feininger an Alois Schardt vom 18. März 1933. Der dort erwähne Zeitungsartikel konnte bislang leider nicht nachgewiesen werden, auch Fotografien der Schaufenster sind nicht bekannt.

Die Städtische Kunsthalle Mannheim veranstaltete vom 4. April bis 5. Juni 1933, nach der »Beurlaubung« Gustav Friedrich Hartlaubs, die Femeschau »Kulturbolschewistische Bilder«. Sämtliche 64 Ölgemälde waren aus ihren Rahmen genommen, um sie als derer unwürdig zu brandmarken. Unter den 20 Arbeiten auf Papier befand sich Klees Aquarell Kalte Stadt aus dem Jahr 1921 (Abb. 5). Auf einer Raumaufnahme im Archiv der Kunsthalle Mannheim hängt das Klee-Aquarell an der Stirnwand über einer Vitrine (Abb. 6). In reduzierter Form wanderte die Schau später in den Kunstverein München und in den Kunstverein Erlangen, das Blatt von Klee war dabei.

Vom 14. Mai bis Juni 1933 veranstaltete das Städtische Museum in Chemnitz die Femeschau »Kunst, die nicht aus unserer Seele kam«. Unter den rund 135, überwiegend expressionistischen Werken befand sich Klees Farblithografie Die Heilige vom innern Licht (Abb. 7). Verantwortlich für die Ausstellung war der Kunsthistoriker Wilhelm Rüdiger, der seit 1930 der NSDAP angehörte und Ende April 1933 von den Nationalsozialisten zum kommissarischen Leiter der Städtischen Kunstsammlung berufen worden war. Rüdiger unterstellte Klee in einem Pressebericht zur Ausstellung im Chemnitzer Tageblatt vom 21. Mai 1933 »psychopathische Anfälle« und »krankhafte[n] unverschuldete[n] Infantilismus«. In einem weiteren Bericht ist die Grafik Klees abgebildet (Abb. 8). Nach Ende der Ausstellung wurden die Exponate magaziniert.

Sie war zweifellos die wichtigste der »Schreckenskammern«: die Ausstellung »Entartete Kunst«, die vom 23. September bis 18. Oktober 1933 im Lichthof des Dresdener Rathauses gezeigt wurde. In ihr wurden 207 Werke, vor allem aus dem Bestand des Dresdner Stadtmuseums, diffamierend zur Schau gestellt; darunter Paul Klees Gemälde um den Fisch, 1926, 124 (C 4), das bereits im März oder April 1933 zusammen mit 27 weiteren Bildern verschiedener Künstler aus den Schauräumen der Staatlichen Gemäldegalerie entfernt worden war. In einem sich über zwei Doppelseiten erstreckenden Bildbericht aus der Kölnischen Illustrierten Zeitung ist das Gemälde zusammen mit einem Bild von Otto Dix unter der Überschrift »Proben einer überwundenen ›Kunst‹ …« reproduziert; auf der gegenüberliegenden Seite finden sich drei systemkonforme Werke unter der Überschrift »… und der Ausdruck einer neuen Zeit« (Abb. 9). Das Besondere an der Dresdner Ausstellung war zum einen, dass sie bereits den Titel »Entartete Kunst« trug, und zum anderen, dass sie, in leicht abgewandelter Form, bis 1937 durch mindestens zwölf deutsche Städte reiste, wodurch sie aus der sonst üblichen lokal begrenzten Wirksamkeit der »Schreckenskammern« heraustrat. Nach Ende der letzten Etappe, Wiesbaden, am 29. März 1937 wurden die Exponate vermutlich nach Berlin transportiert, um von dort im Juli den Weg nach München anzutreten, wo sie in die dortige Ausstellung »Entartete Kunst« integriert wurden. Die Dresdner Ausstellung »Entartete Kunst« wurde so Bestandteil der gleichnamigen Münchner Ausstellung, die Thema des nächsten Absatzes ist.
Paul Klees Farblithografie Die Heilige vom innern Licht, 1921, 122 die bereits in Chemnitz angeprangert worden war, gehörte auch zu den 77 Exponaten der Ausstellung »Kunst der Geistesrichtung 1918-1933«, die vom 17. Dezember 1933 bis mindestens 17. Februar 1934 im Schlesischen Museum der bildenden Künste in Breslau veranstaltet wurde (Abb. 10). Erst seit kurzem ist bekannt, dass die Breslauer Schau im Frühjahr 1934 ein »Nachspiel« in Beuthen (heute Bytom in Polen) hatte. Dort wurde am 11. März 1934 im Oberschlesischen Landesmuseum die Grafikausstellung »Schlesische Kunst in Schwarz-Weiß« eröffnet, die eine Abteilung »Entartete Graphik« enthielt. Diese war aller Wahrscheinlichkeit nach mit Leihgaben aus Breslau bestückt.

Werke Paul Klees in der Wanderausstellung »Entartete Kunst« 1937 bis 1941

Geplant als Kontrastveranstaltung zur »Großen Deutschen Kunstausstellung«, der von Hitler persönlich am 18. Juli 1937 im Münchner »Haus der Deutschen Kunst« eröffneten offiziellen »Leistungsschau« der NS-konformen Kunst, wurde die Ausstellung »Entartete Kunst« am 19. Juli 1937 in den Münchner Hofgartenarkaden mit einer Rede Adolf Zieglers, Maler und Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, eröffnet. Ziegler hatte — ausgestattet mit einem Erlass von Propagandaminister Joseph Goebbels — in einer nur wenige Tage dauernden Blitzaktion die wichtigsten Sammlungen moderner Kunst in Deutschland heimgesucht, Hunderte von Kunstwerken beschlagnahmt und nach München bringen lassen. Dort wurden die Werke in neun schmalen Räumen, zwei im Erdgeschoss und sieben im Obergeschoss, regelrecht zusammengepfercht (Abb. 11). Die Ausstellung umfasste rund 650 Gemälde, Plastiken, Grafiken, Fotografien und Bücher von etwa 120 Künstlern. Das Spektrum der vertretenen Kunststile reichte vom deutschen Impressionismus über den Expressionismus zu Dadaismus und Konstruktivismus, von Künstlern des Bauhauses und der Abstraktion bis zur Neuen Sachlichkeit. Besonders heftig wurden die Expressionisten attackiert. Die Ausstellung zeichnete sich durch ein spezifisches Präsentationskonzept aus. So erzeugte die extrem dichte Hängung in engen und halbdunklen Räumen den Eindruck von Chaos. Die Ankaufspreise, teilweise hohe Inflationssummen, wurden angegeben, um die Empörung des Besuchers über die angebliche Verschleuderung von Steuergeldern hervorzurufen. Das Jugendverbot tat ein Übriges, um der Ausstellung den Charakter einer Sensation zu verleihen. Diskriminierende, polemisch-aggressive Wandbeschriftungen appellierten an bereits vorhandene Aversionen gegen die Moderne und schürten zugleich antisemitische und antikommunistische Ängste, wie auch der NS-Slogan »jüdisch-bolschewistische Kunst« belegt. Auf diese Weise wurde die Stimmung aufgeheizt und der Hass der Besucher gleichermaßen gegen Künstler und Kritiker, Händler und Museumsleiter gerichtet. Lässt sich also einerseits von einer Konditionierung der Betrachter durch die propagandistische Ausstellungsregie sprechen, so ist andererseits auch zu berücksichtigen, welche Voraussetzungen und Erwartungen die Besucher mitbrachten. Der Großteil des Publikums dürfte für die Hetzpropaganda in hohem Maße empfänglich gewesen sein, weil nur wenige mit der Kunst der Moderne wirklich vertraut waren, hatte sie doch in den 30er-Jahren noch keine Anerkennung in breiten Kreisen gefunden. Zudem prägte die reißerische Presseberichterstattung die Erwartungen der Besucher.

Von Paul Klee standen in München insgesamt 15 Werke am Pranger. Außerdem war in einer Vitrine Will Grohmanns Buch über Klees Handzeichnungen ausgestellt, das Ende Oktober 1934 im Verlag Müller & Kiepenheuer erschienen und im April 1935 von der Gestapo beschlagnahmt worden war.

Eines der berühmtesten Bilder Klees in der Ausstellung war die im Landesmuseum Hannover beschlagnahmte Sumpflegende, 1919, 163, die in Raum 3 im Obergeschoss der Ausstellung an der sogenannten »Dada-Wand« hing (Abb. 12). Fünf Werke stammten aus dem Besitz der Nationalgalerie, darunter das Aquarell Der Angler, 1921, 140 und das Ölbild der Goldfisch, 1925, 86 (R 6). Auf einer Aufnahme aus Raum 2 im Erdgeschoss (Abb. 13) sind am rechten Bildrand insgesamt acht Werke Klees zu erkennen (von oben nach unten und links nach rechts): Rhythmus der Fenster, 1920, 20, Mond über der Stadt, 1922, 18, Wintergarten, 1925, 135 (D 5), Wohin?, 1920, 126, Geisterzimmer mit der Hohen Türe (neue Fassung), 1925, 102 (A 2), Die Zwitscher-Maschine, 1922, 151, Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber, 1922, 126 sowie rechnender Greis, 1929, 60 (O 10). Zum Vergleich sei hier eine um 1930 entstandene Raumaufnahme der Neuen Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzenpalais gezeigt (Abb. 14). Auf der rechten Wand hängen Werke von Klee, von links nach rechts: Der Angler, 1921, 140, Mond über der Stadt, 1922, 18, Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber, 1922, 126, Blumenfresser, 1927, 17 (K 7) (dieses befand sich nicht auf der Ausstellung »Entartete Kunst«) und Die Zwitscher-Maschine, 1922, 151. Zusammen mit dem Bild der Goldfisch, 1925, 86 (R 6) hatte Ludwig Justi in den Jahren 1923, 1926 und 1928 insgesamt sechs Werke von Klee für die Nationalgalerie erworben. Justi schätzte Klee als den »größte[n] unter den Malern traumhafter Gebilde«2 und richtete ihm, angeregt von seinem Assistenten Alois Schardt, 1923 im Obergeschoss des Kronprinzenpalais, welches seit 1919 die moderne Abteilung der Nationalgalerie beherbergte, eine umfangreiche Einzelausstellung aus, die für die weitere Karriere Klees von großer Bedeutung war. 1930 sollte eine zweite Einzelausstellung Klees in der Nationalgalerie stattfinden. Die Nationalsozialisten stellten mehrere Postkarten mit Exponaten der Ausstellung »Entartete Kunst« her, darunter eine mit einer Reproduktion von Klees Die Zwitscher-Maschine auf der Bildseite. Ein Exemplar dieser Postkarte sandte Lily Klee am 23. Juni 1938 an Hermann Rupf (Abb. 15A), (Abb. 15B).3

Nach dem spektakulären Auftakt der Ausstellung »Entartete Kunst« in München mit über zwei Millionen Besuchern schickte das Propagandaministerium die Ausstellung auf Reisen, wobei sich ihre Zusammenstellung ständig veränderte. Für die zweite Etappe in Berlin im Frühjahr 1938 lag auch der Ausstellungsführer vor, auf dessen Umschlag (Abb. 16) die Skulptur Grosser Kopf von Otto Freundlich abgebildet war, die von den Nationalsozialisten ironische-abschätzig Der neue Mensch genannt wurde.4 Der jüdische Künstler wurde 1943 auf der Flucht in Frankreich verhaftet und deportiert. Er wurde vermutlich im Konzentrationslager Sobibor ermordet oder kam bereits auf der Fahrt dorthin ums Leben. Auf einer Seite der Broschüre wurde unter der Überschrift »Zwei ›Heilige‹!!« Klees bereits erwähnte Farblithographie Die Heilige vom innern Licht, 1921, 122 der Darstellung Heilige Magdalena mit Kind von Oskar Herzberg gegenübergestellt (Abb. 17). Herzberg war ein Patient der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik. Seine Arbeit stammte aus der Sammlung Prinzhorn, die Werke für die Wanderausstellung »Entartete Kunst« zur Verfügung stellen musste.

Bis 1941 bereiste die Ausstellung »Entartete Kunst« mindestens 16 weitere Städte des damaligen Reiches. Nach Berlin führte die Reise 1938 nach Leipzig, Düsseldorf, Salzburg und Hamburg und 1939 nach Stettin, Weimar, Wien, Frankfurt am Main und Chemnitz. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschwand die Ausstellung von der Bildfläche – um im Januar 1941 in kleineren und mittleren Städten Schlesiens wieder aufzutauchen, nämlich in Waldenburg, Görlitz, Liegnitz, Oppeln und Beuthen. Die letzte Station im April 1941 war Halle an der Saale. Während ihrer Tournee änderte sich die Zusammenstellung der Exponate ständig, was nicht zuletzt mit der im Sommer 1938 beginnenden »Verwertung« der »Entarteten Kunst« zusammenhing.

Für die Berliner Etappe wurde der Ausstellungsbestand neu zusammengestellt, der Anteil der Expressionisten reduziert, der Anteil der gesellschaftskritischen, linkspolitischen Kunst demgegenüber deutlich erhöht. Paul Klee war den Recherchen von Katrin Engelhardt zufolge mit 14 Werken vertreten – im Vergleich zu den 15 dokumentierten Klee-Werken in München der nahezu identische Bestand. Auf einer Raumaufnahme sind an der rückwärtigen rechten Wand zu sehen (von links nach rechts): Seiltänzer, 1923, 138, Geisterzimmer mit der Hohen Türe (neue Fassung), 1925, 102 (A 2), Die Zwitscher-Maschine, 1921, 155 (Abb. 18).

Der Bestand der Düsseldorfer Ausstellungsstation vom Sommer 1938 ist durch eine zwar unvollständige, aber ansonsten verlässliche dreiseitige Liste dokumentiert, auf der von Klee neun Werke aufgeführt sind: der Goldfisch, 1925, 86 (R 6), um den Fisch, 1926, 124 (C 4), Bäume (d. i. Wohin?, 1920, 126), Der Angler, 1921, 140, Die Heilige vom innern Licht, 1921, 122, Männerkopf (d. i. rechnender Greis, 1929, 60 {O 10}), Die Zwitscher-Maschine, 1922, 151, Sumpflegende, 1919, 163 sowie Seiltänzer, 1923, 138.5

Von Düsseldorf aus reiste die Schau in das von NS-Deutschland im März 1938 annektierte Österreich, nämlich in die Stadt Salzburg, wo sie im September 1938 zu sehen war. Auf einer Raumaufnahme ist Klees Gemälde um den Fisch, 1926, 124 (C 4) zu erkennen (Abb. 19). Nach Beendigung der Salzburger Ausstellungsetappe wurde dieses Bild zusammen mit 70 anderen Werken nach Berlin zurückgesandt. Dieser substanzielle Eingriff in den Ausstellungsbestand ist durch eine weitere Liste dokumentiert.6 Hintergrund der Rücksendung nach Berlin war, dass das Propagandaministerium im August 1938 mit der Einrichtung des Depots im Schloss Schönhausen in Berlin begonnen hatte. Dort sollten die »international verwertbaren« Bestände der »Entarteten Kunst« zusammengeführt werden, also diejenigen Werke, die man durch Verkäufe ins Ausland in Devisen umsetzen wollte. Das erklärt, warum auf der Liste ausschließlich international renommierte Künstler erscheinen.

Nach Salzburg wurde die Schau im November und Dezember 1938 in Hamburg gezeigt. In einem aufschlussreichen illustrierten Zeitungsbericht ist rechts unten Klees Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber, 1922, 126 reproduziert (Abb. 20).

Am 12. November 1941 wurden die Exponate der Ausstellung »Entartete Kunst« an das Propagandaministerium zurückgegeben, wo sich ihre Spur verliert. Der Rückgabebestand ist durch ein Verzeichnis dokumentiert, auf dem von Paul Klee lediglich zwei Grafiken aufgeführt sind: Männerkopf (vermutlich die Radierung rechnender Greis, 1929, 60 {O 10}) und die kolorierte Lithographie Seiltänzer 1923, 138.7 Nur diese beiden Blätter waren vermutlich auf sämtlichen Ausstellungsstationen zu sehen, während die übrigen Werke Klees nach und nach aus dem Bestand herausgenommen wurden.

Die Ausstellung »Entartete Musik«, Düsseldorf 1938

Auch im Rahmen anderer politischer Propagandaausstellungen wurden Werke Klees diffamiert. So wurde am 24. Mai 1938 in Düsseldorf die Ausstellung »Entartete Musik« eröffnet, in der moderne Musik, Jazz und Werke der bildenden Kunst angefeindet wurden. Anlässlich der Schau erschien ein Pamphlet, dessen Umschlag (Abb. 21) eine groteske Kompilation von NS-Feindbildern zeigt: ein saxophonspielender jüdischer (an Stelle der Nelke im Knopfloch ein Davidstern) Schwarzer mit Ohrring. Auf einer Seite der Broschüre (Abb. 22) erscheinen unter der Überschrift »Entartete Kunst und Entartete Musik Hand in Hand« Reproduktionen von Werken Karl Hofers und Paul Klees. Das Werk von Klee heißt jedoch in Wirklichkeit nicht »Musikalische Komödie«, sondern nur Komödie , 1921, 108. Es hat sich nie in einem deutschen Museum befunden und konnte folglich auch nicht als »entartet« beschlagnahmt werden. Es wurde 1929 in der Klee-Monographie von Will Grohmann und 1930 in der Zeitschrift »Der Querschnitt« abgebildet, und eine dieser beiden Abbildungen muss für die Broschüre »Entartete Musik« verwendet worden sein. Wenn überhaupt, war das Klee-Werk nicht als Original, sondern nur als Fotografie Bestandteil der Ausstellung »Entartete Musik«.

Die Beschlagnahmungen »Entarteter Kunst«, ihre »Verwertung« durch die Nationalsozialisten und ihre Erforschung heute

Im Zusammenhang mit der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« ist bereits kurz die Beschlagnahmung moderner Kunst in deutschen Museen erwähnt worden. Diese fand in zwei Aktionen statt. Die erste erfolgte im Juli 1937 unter großem Zeitdruck und diente der Sicherstellung von Exponaten für die Ausstellung »Entartete Kunst« in München. Die zweite begann bereits im August 1937 und war weitaus umfangreicher. Mehrere von Adolf Ziegler gebildete Ausschüsse beschlagnahmten dabei in über 100 Museen Tausende von Kunstwerken. Ziel war die systematische und flächendeckende Liquidierung der Moderne in den deutschen Museen. Insgesamt wurden rund 21'000 Kunstwerke beschlagnahmt (davon etwa ein Drittel Bilder, Skulpturen, Aquarelle und Zeichnungen und zwei Drittel Druckgrafiken). Das »Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst« vom 31. Mai 1938 schrieb die Enteignung der Beschlagnahmebestände zu Gunsten des Reiches fest und schuf die Voraussetzung für ihre »Verwertung«.

Im Herbst 1938 wurde eine »Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst« unter dem Vorsitz von Propagandaminister Joseph Goebbels gegründet. Diese beauftragte vier, im internationalen Handel erfahrene Kunsthändler mit dem Verkauf der beschlagnahmten Werke gegen Devisen ins Ausland. Es waren dies Bernhard A. Böhmer aus Güstrow, Hildebrand Gurlitt aus Hamburg sowie Ferdinand Möller und Karl Buchholz aus Berlin. Buchholz, der in Berlin eine Buch- und Kunsthandlung führte, vermittelte zahlreiche Verkäufe von Klee-Werken, darunter auch jene aus der Nationalgalerie. So meldete Buchholz bereits am 24. Oktober 1938 einen Interessenten aus Rotterdam für das Bild der Goldfisch, 1925, 86 (R 6). Der Verkauf wurde am 27. Januar 1939 bestätigt. Heute befindet sich das Bild in der Hamburger Kunsthalle. Ebenfalls über Buchholz und seine in New York von Curt Valentin geleiteten Filiale »Buchholz Gallery« gelangten 1939 die übrigen vier Klee-Werke aus der Nationalgalerie in die USA: Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber, 1922, 126, Der Angler, 1921, 140, Mond über der Stadt, 1922, 18 und Die Zwitscher-Maschine, 1922, 151 — alle heute im Museum of Modern Art in New York, mit Ausnahme von Mond über der Stadt, dessen heutiger Standort unbekannt ist.

Zwei der beschlagnahmten Ölbilder Klees, nämlich Klostergarten, 1926, 116 (B 6) (1940 verbrannt) und Villa R, 1919, 153 (Kunstmuseum Basel) (Abb. 23), wurden in die bekannteste Verkaufsaktion »entarteter Kunst« einbezogen: die Auktion der Galerie Fischer in Luzern am 30. Juni 1939. Auf einer Raumaufnahme des Depots Schönhausen in Berlin (Abb. 24) sind Werke zusammengestellt, die für diese Auktion vorgesehen waren, darunter etwa in der Mitte der Fotografie auf dem Boden stehend Klees Villa R, das aus der Städtischen Galerie Frankfurt stammte und in Luzern vom Basler Museumsleiter Georg Schmidt für das Kunstmuseum Basel erworben wurde.

Die beschlagnahmten Werke, welche die Nationalsozialisten für »nicht verwertbar« hielten, wurden zerstört. Am 20. März 1939 brannten im Hof der Hauptfeuerwache in Berlin-Kreuzberg 1'004 Ölgemälde und Plastiken sowie 3'825 Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken.

Von Paul Klee wurden insgesamt 134 Werke in deutschen Museen beschlagnahmt, nämlich 17 Gemälde, 40 Aquarelle, zwei Zeichnungen, 74 Druckgrafiken und ein Buch. Von einigen Grafiken wurden in unterschiedlichen Museen mehrere Exemplare konfisziert, so etwa von der Farblithographie Die Heilige vom innern Licht, 1921, 122 zehn Exemplare und von der Radierung rechnender Greis, 1929, 60 (O 10) fünf Exemplare (davon eines im Kupferstichkabinett Berlin). Von den 17 Gemälden befinden sich heute wieder zehn in öffentlichen Sammlungen, drei in Privatbesitz, zwei sind zerstört, von zweien ist der Standort unbekannt. Von den 40 Aquarellen befinden sich heute 27 wieder in öffentlichen Sammlungen, fünf in Privatbesitz, von acht ist der Standort unbekannt. Von den beiden Zeichnungen ist eine in Privatbesitz, bei der anderen ist der Standort unbekannt. Von den 74 Druckgrafiken sind elf in öffentlichen Sammlungen nachweisbar, eine ist in Privatbesitz, weitere zwölf sind zerstört, in 50 Fällen ist der Standort unbekannt. Von dem beschlagnahmten Buch ist der Standort ebenfalls unbekannt. Zusammengefasst lässt sich sagen: Von 134 beschlagnahmten Werken Paul Klees befinden sich heute 48 Werke in öffentlichen Sammlungen, zehn in Privatbesitz, von 62 Werken ist der Standort unbekannt, 14 wurden zerstört. Rechnet man die Werke in öffentlichem und privatem Besitz zusammen, also alle erhaltenen und nachweisbaren Werke, kommt man auf 58 von 134, das entspricht rund 43 % (Stand: 13. Oktober 2017).

Exemplarisch sei hier das Schicksal eines einzigen der beschlagnahmten Werke etwas ausführlicher betrachtet: Rhythmus der Fenster (Abb. 25), das bereits im Zusammenhang mit der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« erwähnt worden ist. Seine Provenienz ist ebenso gut dokumentiert wie ermutigend. Das Werk wurde in seinem Entstehungsjahr, 1920, auf der ersten umfangreichen Einzelausstellung des Künstlers in München in der Galerie »Neue Kunst – Hans Goltz« gezeigt und 1924 von der Staatsgalerie Stuttgart erworben. Dort wurde es am 10. Juli 1937 beschlagnahmt und in München als »entartet« angeprangert. 1939 übernahm Karl Buchholz das Bild, über ihn kam es in den US-amerikanischen Handel. Weitere Stationen sind New Yorker Privatsammlungen, der Schweizer Kunsthandel sowie eine Privatsammlung in Großbritannien. Genau 70 Jahre nach der Beschlagnahme in Stuttgart, 2007, konnte das Werk mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder aus dem Schweizer Kunsthandel von der Staatsgalerie Stuttgart zurückerworben werden.

Doch von vielen anderen beschlagnahmten Werken fehlt bis heute jede Spur. Die Forschungsstelle »Entartete Kunst«, die 2003 auf Initiative der Ferdinand-Möller-Stiftung und Wolfgang Wittrocks am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin eingerichtet wurde, untersucht die Provenienzen der betroffenen Werke und baut auf der Grundlage des NS-Beschlagnahmeinventars eine entsprechende Datenbank im Internet auf. Wenn man zum Beispiel das Datenblatt zu Die Zwitscher-Maschine 1922, 151 von Klee aufruft, so steht hinter der NS-Inventarnummer ein »E« für »Ergänzung«. Die Zwitscher-Maschine 1922, 151 ist nämlich ein Beispiel für ein Werk, das beschlagnahmt wurde, aber nicht im NS-Inventar auftaucht, vermutlich, weil es bei der Inventarisierung übersehen wurde. Neben der Zwitscher-Maschine wurden in der Nationalgalerie fünf weitere Werke von Klee beschlagnahmt (Der Angler, 1921, 140; Mond über der Stadt, 1922, 18; Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber, 1922, 126; der Goldfisch, 1925, 86 (R 6); Abfahrt der Schiffe, 1927, 140.2 (D 10)). Das bereits erwähnte Ölbild Blumenfresser, 1927, 17 (K 7) verblieb jedoch erstaunlicherweise in der Nationalgalerie. Es wurde im Sommer 1944 in den Flakturm Friedrichshain ausgelagert und dort vermutlich zerstört.

Schlussbemerkung

Am Beispiel Paul Klee lassen sich alle Facetten der NS-Kunstpolitik und ihre Folgen aufzeigen. Dazu gehört auch die Rezeption Klees in der NS-Publizistik. Hierfür ein Beispiel. Der Kritiker Robert Scholz, Mitglied der »Verwertungskommission«, schrieb 1933 in seinem Artikel »Kunstgötzen stürzen« in Heft 10 der »Deutschen Kulturwacht«: »Daß man Paul Klee einmal als großen Künstler ansehen konnte, wird für künftige Generationen eines der deutlichsten Exempel des völligen geistigen Verfalls der individualistischen Kulturepoche sein. Dinge, die nur die Lachmuskeln reizen konnten, wie das irrsinnige, kindische Geschmiere eines Klee, wurden als der Gipfelpunkt schöpferischer Sensibilität angepriesen. [...] Es ist ein Auftakt von kulturpolitisch historischer Bedeutung, daß man den deutschen Künstlernachwuchs von diesen artfremden Verführern befreit hat«.8 Die Denunziation der Kunst Klees als »bolschewistisch«, »jüdisch«, »irrsinnig« und »infantil« hat eine Vorgeschichte, die in dem in Vorbereitung befindlichen Buch ebenfalls untersucht werden soll. Diese Vorgeschichte führt zurück zu den Angriffen gegen Paul Klee in der konservativen, völkischen und nationalsozialistischen Presse der 1920er- und frühen 1930er-Jahre sowie auch von Seiten der bürgerlich-liberalen Presse und von Seiten der Künstler und Intellektuellen. Der Weg Paul Klees »Vom Sonderfall zum Publikumsliebling«, um die Formulierung Christine Hopfengarts aufzugreifen, er war ein langer, ein sehr langer.

Endnoten

  1. Frey/Hüneke 2003, S. 282. [back]

  2. Justi 1931, S. 193. [back]

  3. Vgl. den Tweet "Die 'Zwitscher-Maschine' als 'Entartete Kunst'" in Zwitscher-Maschine Nr. 1, 2015: https://www.zwitscher-maschine.org/archive/2015/11/18/zwitscher-maschine-entartet [back]

  4. Vgl. Wignanek 2017. [back]

  5. Vgl. Zuschlag 1995, Dok. 46. [back]

  6. Vgl. Zuschlag 1995, Dok. 50. [back]

  7. Vgl. Zuschlag 1995, Dok. 62. [back]

  8. Zit. nach Wulf 1983, S. 53f. [back]


Literatur

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Joseph Wulf, Die bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Frankfurt/Berlin/Wien 1983

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Christoph Zuschlag, »Entartete Kunst«. Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland, Worms 1995

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ders., 75 Jahre Ausstellung »Entartete Kunst«, in: Der Berliner Skulpturenfund. »Entartete Kunst« im Bombenschutt, Entdeckung — Deutung — Perspektive. Begleitband zur Ausstellung mit den Beiträgen des Berliner Symposiums 15.-16. März 2012, hrsg. von Matthias Wemhoff in Zusammenarbeit mit Meike Hoffmann und Dieter Scholz, Regensburg 2012, S. 37-51.


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